Samstag, 18. September 2010

Aktuell, Teil sechs

Aktuell, Teil sechs


Unser Leben ist ein Schauspiel

Der Gott ist eine irrationale Instanz. Er ist magisch und poetisch. Ich bin nicht die letzte Instanz. Lassen wir zu, dass der Gott unser Leben mitbestimmt.
Auch unsere Dämonen sind irrationale Instanzen. Auch sie sind magisch und poetisch. Und auch sie bestimmen unser Leben mit, ob wir wollen oder nicht wollen.
Unser Leben ist ein Schauspiel. Wir sind nicht der einzige Spieler dieses Schauspiels. Spielen wir unsere Rolle gut, damit dieses Schauspiel ein gelungenes Schauspiel sei.


Erst jetzt

Sozialismus war im 19.en und 20.en Jahrhundert eine Hoffnung auf eine bessere Welt für viele Menschen. Diese Hoffnung erwies sich als eine Utopie. Und Sozialismus entlarvte sich als dogmatische Lehren. Utopien setzen unsere Energien frei und Dogmen helfen uns, unsere Ängste und Zweifeln zu besiegen. Aber sie hindern uns daran, uns zu entfalten. Wir verlieren unsere innere Dynamik. Sozialismus konnte seine ursprünglichen Ansprüchen nicht wahren: Die Befreiung der Individuen, Progressivität und Humanismus.
Ich bin Mitte des 20.en Jahrhunderts geboren. In meiner Jugend fand ich eine Erlösung in Sozialismus und engagierte mich für ihn. Auch ich bin mit meinen Ansprüchen in Schwierigkeit geraten: An meiner Utopie und meinen Dogmen zu halten, und zugleich meine Individualität, meine Progressivität und meinen Humanismus zu wahren. Ich entscheide mich für meine Individualität, meine Progressivität und meinen Humanismus.
Erst jetzt, nachdem ich mich von meiner Utopie und meinen Dogmen verabschiedet habe, spüre ich eine Leidenschaft in mir, mich für eine bessere Wirklichkeit zu engagieren. Eine bessere Wirklichkeit, als ein sozialer Raum für Individualität, Progressivität und Humanismus. Meine Ängste und zweifeln hindern mich nicht daran. Ich stehe an der Seite meiner Hoffnungen und meinen Ansichten.


Zwei Instanzen

Gott und Satan sind zwei Instanzen in mir. Ich betrachte sie nicht als verfeindet. Sie konkurrieren miteinander und ergänzen sich. Einer gewährt die Kontinuität in meinem Leben. Der andere erneuert mein Leben.
Ich leide nicht an Gott und Satan. Ich leide an strengen und faulen Göttern und an strengen und faulen Satanen. In mir und in meiner Umwelt.
Ich soll mich vor ihnen in Acht nehmen.


Gott ist relativ

Gott ist relativ. Auch Satan ist relativ. Ich stehe an der Seite des Lebens. Mal komme ich mit mehr Gott zurecht, mal mit weniger Gott. Mal komme ich mit mehr Satan zurecht, mal mit weniger Satan.
In meiner Republik ist Liebe der Präsident. Sie ist mit Gott und Satan und mit dem Leben und mit dir und mit mir befreundet. Ich orientiere mich an ihr. Im Wirrwarr der Welt.


Zwei Prinzipien

Grenzen und Abweichungen
Gott und Eigensinn
Satan und Bedenken
Liebe und das Nein
Hass und das Ja
die hellen Seiten und die dunklen Seiten
das Beständige und das sich Verändernde

sie leben in Einklang und Streit miteinander
die Dynamik des Daseins

und was ist das zweite Prinzip von mir, dass ich diesen Text schreibe?
mein genetischer Zwillinge
er ist mit diesem Text einverstanden.


Und was habe ich gemacht?

Meine Liebe zum Menschen verdanke ich Karl Marx
meine Tendenz zum Anarchismus verdanke ich Bakunin
mein Mut zum Rebellion verdanke ich Che Guevara

und den Rest?

alles was ich habe, verdanke ich einem anderen Menschen
und was habe ich gemacht?
Ich habe wieder und wieder eine Wahl getroffen.


Meine Waffe

Ich habe eine Waffe
Lust
sie zaubert

gegen Langeweile
gegen Schmerz
gegen Verzweiflung
gegen Unrecht

mal hat sie eine blaue Farbe
mal hat sie eine orange Farbe
mal hat sie eine rote Farbe

ich war damit ausgestattet, als ich geboren wurde
meine Mutter solle eine gute Laune gehabt haben, als sie mich in sich trug

würde ich meine Waffe verlieren, kann der Tod kommen
nein, Quatsch!
würde der Ton in einer richtigen Gelegenheit kommen,
würde ich Lust auf ihn haben

Lust zaubert
hast du Lust auf eine Tasse Kaffee?


Ein interessanter Mensch

Ich kenne einen interessanten Menschen. Er kennt mich besser, als ich mich kenne. Er kennt dich besser, als ich dich kenne. Er kennt die Welt besser, als ich sie kenne.
Er ist ein guter Konkurrent. Er konkurriert mit mir uns zugleich solidarisiert sich mit mir. Er ist ein guter Begleiter. Er deckt meine Schwächen und zugleich fordert meine Freiheit.
Er überlistet mich, besser als du mich überlisten könntest. Mein zweites Ich ist ein interessanter Mensch. Um mit ihm halten zu können, soll ich lieben. Das interessanteste Abenteuer, das ich kenne, ist lieben. Mein zweites ich ist meine Liebe zu mir selbst und zu den anderen. Längs meines Lebens.

Samstag, 19. Juni 2010

Aktuell, Teil fünf

Aktuell, Teil fünf


Alles ist dein Spiel

Die Welt. Ich meine die Kugel Erde. Wie geht es dir? Ab und zu frage ich nach deinem Befinden. Ich lese Zeitungen ab und zu. Astronauten finden dich schön. Auch ich finde dich ab und zu schön. Ich stecke mitten drin. Aber ich betrachte dich ab und zu aus Distanz, oder ohne Distanz.
Du hast Meere, Du hast Flüsse. Du hast Berge. Du hast Pflanzen. Du hast Bäume. Du hast Insekten. Du hast Wurmen. Du hast Tiere. Du hast Fische. Du hast Vögel. Du hast Vieren. Und wie es in deinem Inneren vor sich geht. Ich kenne es. Auch ich habe Vulkane und bin mit Lavaströmen vertraut.
Du hast Regen. Du hast Schnee. Du hast Wind. Du hast Sturm. Du hast Wald. Du hast Jahreszeiten. Du hast Nacht. Du hast den Mond. Du hast Sonnenschein.
Du hast Menschen. Ich bin einer von ihnen. Ich stehe zu ihnen. Aber nicht zu allen. Du hast Systeme. Du hast Sinn. Ich stecke in ihnen. Mach mir nicht alles so kompliziert! Ich möchte unter anderem spielen. Spielst du auch? Ja. Alles ist dien Spiel. Ich spiele mit.


Heute

Heute war nicht mein tag

ich redete daneben
ich handelte daneben
ich dachte daneben
ich träumte daneben

ich hoffe, ich habe nicht daneben geschrieben.


Manche Momente

Es ist schon lange her
wenn es eine Straffe gewesen wäre,
wäre sie schon verjährt
doch ich vermisse dich
ab und zu

manche Momente sind so seriös,
dass sie eine Ewigkeit nachhallen.


Hoffnungen

Hoffnungen scheitern
und sie gebären neue Hoffnungen
ich scheitere mit
und fangen von neuem an

Gedanke scheitern
und gebären neue Gedanke
ich scheitere mit
und fange von neuem an

Träume scheitern
und gebären neue Träume
ich scheitere mit
und fange von neuem an.

Sonntag, 28. März 2010

Aktuell, Teil vier

Teil vier


Mit Bauch, Herz und Verstand

Worin besteht
die Normalität?

Begeisterung
Langeweile

Freude
Leiden

mal auf
mal ab

mal alles satt haben
und sich ein Schimpfwort erlauben
gegen sich selbst oder gegen die anderen
mal den Boden unter den Füßen verlieren
und sich in einen Schmetterling verwandeln

mit Bauch, Herz und Verstand etwas wollen
mit Bauch, Herz und verstand etwas nicht wollen

ist dies eben nicht das Paradies, aus dem wir vertrieben sind?


Über sie

Man spreche leise über sie
man habe Angst vor ihr
man beschimpfe sie
man habe Respekt vor ihr
man ignoriere sie
man benötige sie
man entwerte sie
man schätze sie
man verleugne sie
man verlasse sich auf sie
man nehme sie nicht ernst
man finde sie geheimnisvoll
man finde sie frugal

Realität.


Mehr oder weniger

Leicht
falle ich in ihm hinein
schwer
befreie ich mich von ihm
als ob mitten am Tage bräche die Nacht ein
dar schwarze Loch

trägst du auch ein schwarzes Loch in dir?
hab keine Angst vor ihm
jeder trägt
mehr oder weniger
ein schwarzes Loch in sich
das Nichtsein.

Gedichte, Teil drei

Teil drei

Ausgewählte Gedichte vom Gedichtband "Es ist März", veröffentlicht im Jahre 2002.


Jene Frau

Sie erscheint
jedes Mal anders
in meinen Träumen

in jedem Gedicht
begegne ich
einer anderen Seite
von meinem Dasein.


In die Stadt

Eine zarte Mondsichel und
ein leuchtender Stern
es ist Nacht
ich gehe in die Stadt
selten ist hier der Himmel klar

ich nehme sie mit und
bringe sie meiner Freundin als Geschenk.


Steht nicht auf!

Das Kind dreht sich
bleibt stehen und
sagt
steht nicht auf!
das Zimmer dreht sich

die Mutter sagt
mein Kind
dir dreht sich das Zimmer.


Lieber

Einsamkeit
als nicht existieren

lieber das Verlangen
nach verstanden werden

eine mitteilbare Einsamkeit
hat eine Existenz.


Liebesgedicht

Wir ist gleich ich plus du plus unsere Gemeinsamkeit
ich minus du ist gleich ich minus wir
daraus ergibt sich
ich minus du ist gleich ich minus ich minus du minus unsere Gemeinsamkeit
daraus ergibt sich
ich ist gleich minus unsere Gemeinsamkeit

du fehlst mir!


Ein Gesicht

Ich kann es nicht ganz beschreiben
es ist mehr als ein Gesicht
ein Fahrgast ist mehr als ein Fahrgast
die Bahn ist mehr als die Bahn
die Stadt ist mehr als die Stadt
die Welt ist mehr als die Welt
ich kann sie nicht ganz beschreiben.


Die Begegnung

Der eine sitzt
der andere kommt ins Zimmer

der andere guckt aus dem Fenster und
sagt
was für ein Wetter!
der eine sagt nichts

der eine hustet
der andere guckt ihn an

der andere sagt
so!
der eine sagt nichts

der andere geht.


Na ja!

Die Realität
na ja!

der Tee schmeckt gut
ich trinke ihn
mit Zucker.


Ein guter Trick

Morgen geht es zu Ende
morgen geht es zu Ende
morgen geht es zu Ende
morgen geht es zu Ende

ein guter Trick!

morgen geht es zu Ende.


Der Einkauf

Kaffee
Kartoffeln
Apfel
Käse
Margarine

Hallo!
Hallo!

Danke!
Danke!

Tschüss!
Tschüss!

und
der Einkaufswagen

haben Sie eine Mark drin?
Ja!


In der Nacht

Eine alte Frau
steigt aus dem Bus aus

eine Rose
in der Hand.

Donnerstag, 14. Januar 2010

Texte, Teil zwei

Teil zwei


Mein altes Ich

Mein altes Ich vorbreitet mir Kummer. Es passt sich zu sehr der Realität an, oder es erklärt ihr den Krieg. Ich sage zu ihm, du mein liebes altes Ich, diese Strategie sei vielleicht in der Notsituation angebracht, aber ich befinde mich nicht schon in einer Notsituation. Und in Normalzustand ist diese Strategie irrational. Ich passe mich lieber nicht zu sehr der Realität an und erkläre ihr nicht den Krieg. Ich streite mit ihr und gehe auf Kompromisse mit ihr ein.
Ich möchte nicht verleugnen, dass ich Träger meiner Vergangenheit bin. Mein altes ich hat mir geholfen, die Notsituationen in meinem Leben zu meistern. Es ist mein Freund. Aber ich bin auch Träger meiner Gegenwart und meiner Zukunft. Also, ich grenze mich von meinem alten ich ab. Dass es mich weiterhin begleitet, ärgert mich nicht. Ich stelle ihm ein Zimmer in meiner Wohnung zur Verfügung. Ab und zu gehe ich zu ihm und rede mit ihm, oder es kommt zu mir und redet mit mir. Ich gehe mit ihm mit Ernst und Leichtigkeit um.
Ich bin auch Träger meines alten Ich.


Der Schneeball

Im Winter, bei Schneefall beobachte ich die Jugendlichen auf der Straße, wenn sie Schneeball spielen. Manchmal gerate ich zwischen ihnen. Sie treffen auch mich mit dem Schneeball. Falls in einem Jahr nicht genüg schneit, vermisse ich sie. Schneefällen begeistern auch mich. Mit ihnen erwacht die Sehsucht nach meiner Jugend in mir.
Beim Vorbeigehen an Vorgärten in unserer Straße nehme ich etwas Schnee und forme ich ihn zu einem Schneeball. Ich lasse ihn nach einer Weile fallen. Auf dem Boden, vor mir. Ich begnüge mich damit. Auch die Erinnerungen an meiner Jugend sind mir aus den Händen gefallen. Auf den Boden, hinter mir.


Ich gehöre zu Unten

Ich gehöre zu Unten. Ab und zu gehe ich ins Kino. Die Stuhlreihen im Kino erinnern mich an Hierarchien in dieser Gesellschaft, in der ich lebe. Mein Platz befindet sich unter den unteren Reihen.
Ich bin ein Mann. Es ist schön, ein Mann zu sein. Ich verliebe mich in einer Frau. Ich bin ein Bürger. Es ist vielseitig, ein Bürger zu sein. Ich lebe alle meine Seiten aus. Ich bin hier anderes. Es ist anspruchsvoll, anderes zu sein. Ich beobachte die Gesellschaft aus einer Außenposition. Ich bin ein Dichter. Es ist sinnvoll, ein Dichter zu sein. Ich teile den anderen meine Beobachtungen mit.

Aktuell, Teil drei

Teil drei


Und ich erobere sie wieder

Ich freue mich
das Haus zu verlassen
und in die Realität einzutreten
meine Realität ist meine Heimat

und ich freue mich
nach Hause zurückzukehren
da erwartet mich meine innere Realität
auch meine innere Realität ist meine Heimat

es ist nicht immer so
ich soll sie hin und wieder zurückerobern
und ich erobere sie zurück.


Und schließlich

Seitdem ich in einer Zeitschrift gelesen habe, dass die Satellitenbilder zeigen, dass die Erde mit ihren Tiefen und Höhen mehr wie eine Kartoffel aussehe als eine Kugel, fühle ich mich erleichtert.
Auch meine Seele sieht mehr wie eine Kartoffel aus. Mit ihren Tiefen und Höhen. Auch meine Erinnerungsknäuel sieht mehr wie eine Kartoffel aus. Mit ihren Tiefen und Höhen. Auch mein Lebenslauf sieht mehr wie eine Kartoffel aus. Mit seinen Tiefen und Höhen.
Und schließlich sieht meine Stimmung auch mehr wie eine Kartoffel aus. Mit ihren Tiefen und Höhen.


Leichtigkeit

Selbstkritik
und Leichtigkeit

Kritik
und Leichtigkeit

ein Problem
und Leichtigkeit

Schmerz
und Leichtigkeit

Freude
und Leichtigkeit

Erfolg
und Leichtigkeit

Misserfolg
und Leichtigkeit

weniger Platz
für Verzweiflung

und wenn schon,
dann

Verzweiflung
Und Leichtigkeit.