Donnerstag, 14. Januar 2010

Texte, Teil zwei

Teil zwei


Mein altes Ich

Mein altes Ich vorbreitet mir Kummer. Es passt sich zu sehr der Realität an, oder es erklärt ihr den Krieg. Ich sage zu ihm, du mein liebes altes Ich, diese Strategie sei vielleicht in der Notsituation angebracht, aber ich befinde mich nicht schon in einer Notsituation. Und in Normalzustand ist diese Strategie irrational. Ich passe mich lieber nicht zu sehr der Realität an und erkläre ihr nicht den Krieg. Ich streite mit ihr und gehe auf Kompromisse mit ihr ein.
Ich möchte nicht verleugnen, dass ich Träger meiner Vergangenheit bin. Mein altes ich hat mir geholfen, die Notsituationen in meinem Leben zu meistern. Es ist mein Freund. Aber ich bin auch Träger meiner Gegenwart und meiner Zukunft. Also, ich grenze mich von meinem alten ich ab. Dass es mich weiterhin begleitet, ärgert mich nicht. Ich stelle ihm ein Zimmer in meiner Wohnung zur Verfügung. Ab und zu gehe ich zu ihm und rede mit ihm, oder es kommt zu mir und redet mit mir. Ich gehe mit ihm mit Ernst und Leichtigkeit um.
Ich bin auch Träger meines alten Ich.


Der Schneeball

Im Winter, bei Schneefall beobachte ich die Jugendlichen auf der Straße, wenn sie Schneeball spielen. Manchmal gerate ich zwischen ihnen. Sie treffen auch mich mit dem Schneeball. Falls in einem Jahr nicht genüg schneit, vermisse ich sie. Schneefällen begeistern auch mich. Mit ihnen erwacht die Sehsucht nach meiner Jugend in mir.
Beim Vorbeigehen an Vorgärten in unserer Straße nehme ich etwas Schnee und forme ich ihn zu einem Schneeball. Ich lasse ihn nach einer Weile fallen. Auf dem Boden, vor mir. Ich begnüge mich damit. Auch die Erinnerungen an meiner Jugend sind mir aus den Händen gefallen. Auf den Boden, hinter mir.


Ich gehöre zu Unten

Ich gehöre zu Unten. Ab und zu gehe ich ins Kino. Die Stuhlreihen im Kino erinnern mich an Hierarchien in dieser Gesellschaft, in der ich lebe. Mein Platz befindet sich unter den unteren Reihen.
Ich bin ein Mann. Es ist schön, ein Mann zu sein. Ich verliebe mich in einer Frau. Ich bin ein Bürger. Es ist vielseitig, ein Bürger zu sein. Ich lebe alle meine Seiten aus. Ich bin hier anderes. Es ist anspruchsvoll, anderes zu sein. Ich beobachte die Gesellschaft aus einer Außenposition. Ich bin ein Dichter. Es ist sinnvoll, ein Dichter zu sein. Ich teile den anderen meine Beobachtungen mit.

Aktuell, Teil drei

Teil drei


Und ich erobere sie wieder

Ich freue mich
das Haus zu verlassen
und in die Realität einzutreten
meine Realität ist meine Heimat

und ich freue mich
nach Hause zurückzukehren
da erwartet mich meine innere Realität
auch meine innere Realität ist meine Heimat

es ist nicht immer so
ich soll sie hin und wieder zurückerobern
und ich erobere sie zurück.


Und schließlich

Seitdem ich in einer Zeitschrift gelesen habe, dass die Satellitenbilder zeigen, dass die Erde mit ihren Tiefen und Höhen mehr wie eine Kartoffel aussehe als eine Kugel, fühle ich mich erleichtert.
Auch meine Seele sieht mehr wie eine Kartoffel aus. Mit ihren Tiefen und Höhen. Auch meine Erinnerungsknäuel sieht mehr wie eine Kartoffel aus. Mit ihren Tiefen und Höhen. Auch mein Lebenslauf sieht mehr wie eine Kartoffel aus. Mit seinen Tiefen und Höhen.
Und schließlich sieht meine Stimmung auch mehr wie eine Kartoffel aus. Mit ihren Tiefen und Höhen.


Leichtigkeit

Selbstkritik
und Leichtigkeit

Kritik
und Leichtigkeit

ein Problem
und Leichtigkeit

Schmerz
und Leichtigkeit

Freude
und Leichtigkeit

Erfolg
und Leichtigkeit

Misserfolg
und Leichtigkeit

weniger Platz
für Verzweiflung

und wenn schon,
dann

Verzweiflung
Und Leichtigkeit.