Dienstag, 25. September 2012

Aktuell, Teil zwölf


 

Aktuell, Teil zwölf

 

Nächste Aktualisierung Januar 2013

 

 

Der Wahrheit gegenüber

 

 

Es geht vielleicht in manchen Fällen darum, was das „Böse“ uns was das „Gute“ sei. Aber es geht in der Welt vielmehr darum, was für eine Vorstellung und Definition der eine oder der andere von Gutem und Richtigem habe.

Habe ich eine bessere und interessante Vorstellung von ihnen, habe ich eine bessere und interessante Definition von ihnen?

Es geht nicht darum. Es geht darum, ob ich zu meinen Werten stehe, oder nicht. Die Frontlinie liegt in mir. Und die Frontlinie liegt außerhalb von mir.

Ich habe nicht den Mut, nicht ich selbst zu sein. Ist dies eine Tugend, oder Feigheit? Ich weiß es nicht. So, oder so. Immerhin habe ich den Mut, ich selbst zu sein. Das soll wohl eine Tugend sein! Oh, Verzeihung! Vielleicht. Ich bin von meinen Vorstellungen ausgegangen.

Der Wahrheit steht nicht die Unwahrheit gegenüber. Der steht eine andere Wahrheit gegenüber. Die Wahrheit ist, was ich davon halte. Die Wahrheit ist, was du davon hältst. Und die Wahrheit ist, was sie wirklich ist. Das werden wir glücklicherweise, oder unglücklicherweise nie erfahren. Ansonsten wäre das Ende. Ende von mir. Ende von dir. Ende von uns.

 

 

 

Ohne Phantasie fehlt der Wirklichkeit etwas.

Jean-Paul Sartre (Frei zitiert)

 

 

Ein Engel über der Stadt

 

Es gibt etwas

wenn es da ist, stimmt alles irgendwie

und wenn es nicht da ist, stimmt alles irgendwie nicht

 

ob du im Moment fröhlich bist, ob traurig

ob du im Moment Glück empfindest, ob Schmerz

 

ob du so bist, ob anderes bist

 

nenne es, wie du es möchtest

ich nenne es Engel

ein Engel über der Stadt,

der mich ansieht

der war da und der ist da

die Frage ist, ob ich einen Zugang zu ihm habe.

 

 

So sehr

 

Ende gut, alles gut

 

das Ende ist doch nicht gut

ja! etwas gutes ist schon dabei

alles war auch doch nicht gut

ja! etwas gutes war schon dabei

 

und ich mag Geschichten mit Happyend

so sehr, so sehr, so sehr, so sehr.

 

 

 

 

Sonntag, 1. Juli 2012

Aktuell;Teil elf


Aktuell, Teil elf


nächste Aktualisierung Oktober 2012


(Inspiriert von Wolf Biermann)



Die Hälfte  der Welt



Die Hälfte der Welt gehört mir

ich bin nicht ein König

ich besitze nicht mal eine Eigentumswohnung

ich zahle Miete

ich meine was anderes

die Hälfte der Welt gehört meinen Freunden

meinen Verbündeten

das ist nicht wenig



die Hälfte dieser Strasse

die Hälfte dieses Stadtteils

die Hälfte dieser Stadt

die Hälfte dieses Landes

die Hälfte dieses Kontinents

die Hälfte der Welt



auch die des Himmels?

ja!

alles, was da unten gibt, gibt es auch irgendwie da oben



und mein ganzes Herz gehört dir,

wenn du da bist

ich hätte beinahe gesagt: die Hälfte!



ich weiß, wie ich mich bei dir verhalte

aber wie ich mich in einer Welt verhalte, die nur zur Hälfte mir gehört?

ein beeindruckendes Rätsel.








Mittwoch, 4. April 2012

Kritik, Teil zwei

Kritik, Teil zwei
Nächste Aktualisierung Anfang Juli 2012


Seit Jahren sind mir die Gedichte von Mohammad Ahmadijan bekannt. Es sind einfache Gedichte, doch vielsagend und bedeutsam.
Es gibt viele Szenen des alltäglichen Lebens, die wir entweder nicht sehen oder wir sehen sie, ohne dass irgendein Gefühl in uns erwecken. Mit Straßenbahn fahren, Kaffeetrinken, Rauchen, ein Spaziergang im Park oder durch die Fußgängerzone, Einkaufen gehen und ... gehören zum Ritual und sie haben keinen Sinn mehr für uns. Der Dichter, Ahmadijan, hat die Fähigkeit diese Rituale anders zu beobachten und zu spüren. Er zieht ihre verborgenen Sinne heraus und macht aus ihnen eine feine Lyrik. Die Gedichte liegen uns so nah, dass man sich beim lesen fragt: Die Themen und Objekte sind mir doch bekannt und warum kann ich trotzdem nicht wie er dichten?
Die Wörter, die er für Darstellungen seines Empfindens benutzt sind alle einfach, vertraut und nett. Die Leser täuschen sich deshalb, dass jeder dichten könne oder das Dichten gar nicht schwierig sei.
Ich sehe nach dem Lesen seiner Gedichte meine Umgebung anders als bisher. Alles ist ein Sujet oder ein Thema zum Dichten. Ich versuche dann die einfachen täglichen Gebräuche aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Das alles aber als Lyrik zu äußern fordert eine aussagekräftige Form, die der Lyriker im Laufe der Jahre als einen Stil für seine Arbeit gefunden hat. Man sieht zwar viele sich wiederholende Strophen, die erst langweilig scheinen, aber er überrascht uns auf einmal mit einer schönen Strophe, die uns revitalisiert. Obwohl er in seinen Gedichten viele Bitternisse veranschaulicht, sind die Wörter nicht bitter, noch quellend, noch stechend. Ich spüre in einigen seiner Gedichte eine tiefe beruhigende Stille und vor allem eine Philosophie des Lebens in leichten einfachen Wörtern.

Zohreh Rahmanian

Aktuell, Teil zehn

Aktuell, Teil zehn

Wenn die Liebe da seiWenn die Liebe da sei
ist es nicht nötig, dass du keine Schwäche hast
ist es nicht nötig, dass du keinen Makel hast
ist es nicht nötig, dass wir nicht streiten
ist es nicht nötig, dass jede Ecke des Hauses gemäß meinem Wunsch sei
ist es nicht nötig, dass jeder Tag ein sonniger Tag sei
ist es nicht nötig, dass es kein Ärger gebe
ist es nicht nötig, dass es keine Hindernisse gebe
ist es nicht nötig, dass das Böse nicht existiere
ist es nicht nötig, dass ich keinen schwierigen Nachbar habe
ist es nicht nötig, dass alles auf der Welt mich anspreche
ist es nicht nötig, dass die Geschichte nicht grausam sei

wenn die Liebe da sei
ist es nicht nötig, dass ich nicht traurig sei
ist es nicht nötig, dass ich nicht leide

wenn die Liebe da sei
bin ich gut.


Engel

Heut war ich bei einer Freundin eingeladen. Unterwegs zu ihr begegnete ich in Bahn einer Frau. Sie war vor mir eingestiegen. Später stieg sie aus. Ich fuhr weiter.
Als ich auf dem Weg nach Hause war, begegnete ich derselben Frau in Bahn. Anscheinend war auch sie auf dem Weg nach Hause.
Mir passiert hin und wieder, dass eine Frau oder ein Mann mich in dieser Weise begleiten. Und sie sehen meistens sympathisch aus.
Wie stehest mit der Wahrscheinlichkeit, dass jemand zu gleicher Zeit mit dir in Bahn sei, dass er oder sie seine oder ihre Angelegenheiten mit den exakt gleichen Zeitabstand erledigen, wie du, und dass er oder sie zu gleichem Zeitpunkt mit dir in selber Bahn nach hause fahren?
Die Wahrscheinlichkeit, dass es Engels gebe, sei nicht noch geringer!
Auch Engel begleiten mich.


Zwei Freundinnen

Zwei Freundinnen
am Seeufer
schwarze Hosen
schwarze Blusen
die Haare nach hinten gebunden
die Füße im Wasser
hinter ihnen zwei Fahrräder
zwei paar Turnschuhe
schwarz
gleich

eine Asiatin
eine Deutschin

die Socken neben den Schuhen habe ich vergessen
sie waren nicht gleich.


Und wie!

Die Frau und der Mann im Nachbarhaus. Sie verlassen gemeinsam das Haus. Sie gehen gemeinsam einkaufen. Sie gehen gemeinsam joggen. Sie kommen gemeinsam nach Hause. Fast sehe ich sie zusammen.
Sie stammen aus Asien. Aus welchem Land, weiß ich nicht genau. Ich kann schwer Japaner und Chinesen und Koreaner voneinander unterscheiden. Wie die Deutschen uns Iraner und Afghanen nicht leicht von einander unterscheiden. Aber es ist nicht relevant, sie kommen aus Asien.
Wenn du sie nebeneinander stehen siehst, könntest du denken, sie hätten miteinander nicht zu tun. Aber sie haben miteinander zu tun. Und wie!


Ein Tag danach

Es gibt soviel Sorten von Jogurt
man weiß nicht, welche er nehmen soll

es gibt soviel Sorten von Käse
man weiß nicht, welche er nehmen soll

es gibt soviel Sorten von Zahnpasta
man weiß nicht, welche er verbrauchen soll

es gibt soviel schicke Schuhen
man weiß nicht, welche er kaufen soll

es gibt soviel schicke Taschen
man weiß nicht, welche er kaufen soll

es gibt soviel interessante Musik
man weiß nicht, welche er hören soll

es gibt soviel interessante Bücher
man weiß nicht, welche er lesen soll

es gibt soviel interessante Frauen
man weiß nicht, welche er lieben soll

ein nach dem anderen
abgesehen von der Frau
eine Frau, die interessant sei, ist ein Tag danach noch interessanter.

Sonntag, 1. Januar 2012

Gedichte, Teil fünf

Gedichte, Teil fünf

Nächste Aktualisierung Anfang April 2012


Normalerweise

Er saß einsam da
er lud mich zum Kaffee ein
ich hatte noch nicht gegessen
ich sagte
ich trinke keinen Kaffee vor dem Essen
es war auch wahr
ich trinke vor dem Essen normalerweise keinen Kaffee

er lud meinen Freund zum Kaffee ein
er hatte schon gegessen
er sagte
er trinke keinen Kaffee nach dem Essen
es war auch wahr
er trinkt nach dem Essen normalerweise keinen Kaffee

er war auch normalerweise einsam.


Ein Fisch

Ich war ein Fisch
und schwamm in einem Teich
der Teich starb
ich starb mit
und verwandelte mich in einen Vogel
und wanderte zu einem See
da verwandelte ich mich wieder in einen Fisch
und schwamm weiter

ich war ein Fisch
und schwamm in einem See
der See starb
ich starb mit
und verwandelte mich in einen Vogel
und wanderte zu einem Meer
da verwandelte ich mich wieder in einen Fisch
und schwamm weiter

ich bin ein Fisch
ich schwimme in einem Teich
und ich schwimme in einem Meer.


Kartoffelchips

Wir trafen uns einmal
sprachen uns aber nicht an

seitdem träume ich von ihr
auch im Traum sprechen wir uns nicht an

neulich saß ich in der Bahn
und aß Kartoffelnchips
ich träumte sie säße vor mir
ich bot ihr einen Kartoffelnchips an
sie lächelte mir zu

das hätte ich schon früher tun sollen!


Hallo!

Hallo!
Hallo!

ein Kuss
ein Kuss

ein halber Kuss
ein halber Kuss

ein viertel Kuss
ein viertel Kuss

ein achtel Kuss
ein achtel Kuss

ein Abschiedkuss
ein Abschiedkuss

Tschüß!
Tschüß!


Die Mehrheit des Volkes

Wenn die Mehrheit des Volkes
einen Diktator duldet
ich dulde auch ihn

wenn die Mehrheit des Volkes
sich für Reformen einsetzt
ich setze auch mich dafür ein

wenn die Mehrheit des Volkes
sich für eine Revolution einsetzt
ich setze auch mich dafür ein

man könnte meinen, ich sei ein Opportunist
der bin ich nicht
wenn die Mehrheit des Volkes
sich aus Opportunität für etwas einsetzt
ich setze mich dagegen.


Das erste Gedicht

Wir begegneten uns
sie nahm die Zigarettenschachtel
aus meiner Hemdtasche
und zündete eine an

es fing leicht an
ich schrieb ein Gedicht darüber

ich erinnere schwer
an mein erstes Gedicht
an sie auch

und ich rauche noch
und schreibe Gedichte.


In Klammern

klammer auf
eine Liebe

ich vergaß die Klammer zuzuschließen
eine andere Liebe
eine andere Liebe
eine andere Liebe

ich schließe die Klammern zu
es bleibt nur eine Liebe

Klammer zu.


Ein leerer Platz von jemandem

Ich schrieb für sie
sie ging
ich schrieb für mich
um den leereren Platz von ihr zu füllen

den ist nicht zu füllen
ich schreibe für eine andere
eine andere hat auch einen leeren Platz von jemandem in sich

auch sie hatte einen leeren Platz von jemandem in sich
ich schreibe auch für sie


Mir war peinlich

Mir war peinlich, meinen Geburtstag zu feiern
ich bat meine Mutter, mich wieder zu gebären
aber dieses Mal ohne Beteiligung meinen Vaters
sie gebar mich

nun feiere ich meinen Geburtstag
ich lade auch meinen Vater zur Geburtstagparty ein.